Christine Gutgsell
Gewebe und Papier_ Tessuti e carta
Salzros in Regennacht_ Sale rosaceo in una notte di pioggia_ Pink salt on a rainy night
kunst Meran _ Merano arte 
21.11.2008 - 28.12.2008

1980 begann Christine Gutgsell zu malen. Die ersten zehn Jahre ihres Schaffens widmet sie der Auseinandersetzung mit Menschen. Die Bilder zeigen Frauen und Männer, Mächtige und Gedemütigte, Prächtige und Armselige. Als Einzelne und in den nie endenden Verstrickungen mit Anderen führt Gutgsell diese Figuren vor. Tanz, Zorn, Wollust, Prozessionen, Gespräch verbinden die Figuren, stumm wenden sie sich von einander ab, schreiten gleichgültig neben einander her oder gehen begeistert auf einander zu.

Helle RotTöne, petrol grün der Hintergrund. Eine Frau. Ausgestattet mit eigenem Sinn, kräftig. Mühelos behauptet sich diese Figur in der Gegenwart. Gültig in ihrer Haltung, ihrer Position im Raum, ihren Farben. Die Figur ist nicht aus der Mode gekommen, weil sie schon 1987, als Christine Gutgsell sie gemalt hat, nicht modisch war, sondern Not wendig.

Von den Menschen führt die Malerei Christine Gutgsell in die Welt der Dinge. Auch wenn in diesen Arbeiten keine menschlichen Figuren mehr verkommen, verweisen doch die Dinge auf die Menschen: Früchte, Beile, Semmeln, Flugzeuge, Spritzen, Kaffeetassen, Unterwäsche oder Messer. Die Dinge sind da. Gutgsells Bilder bewerten sie nicht, evozieren lediglich ihren Anwendungszusammenhang – sei es Genuss, Scham, Lust, Gewalt, Sucht oder Lebensfreude.

1995 ein Bruch. Die Menschen und ihre Dinge verschwinden. Die Farben werden karg. Flächen entstehen. Vor den neuen Arbeiten der Christine Gutgsell findet man sich mit einem Mal im Weglosen, wo die Richtungen verwildern, wie ein Dichter sagt. Erst nach und nach begreift man: diese Arbeiten haben das Gebiet der Menschen nicht verlassen. Das Gebiet der Menschen ist vielmehr die Grundlage dieser Bilder. Sie konnten nur entstehen, weil die Malerei der Christine Gutgsell lange bei den Menschen und ihren Dingen verweilte. Die neuen Arbeiten dringen tiefer zu dem vor, was Menschsein ausmacht.

Das TRÄNENTUCH* – es scheint dem profanen Leben enthoben und ist doch aus ihm geboren. Ein Tuch, das Raum schafft zum Innehalten, zu Kontemplation. Menschenleere Ebene, salzros, weiß, gelblich, aschige Tiefen. Eine Salzwüste vielleicht. Den verdichteten Passagen des Tuchs scheinen die Tränen eingeschrieben: verheerende ungeweinte und die geweinten, die zurückführen in einen vertrauten Raum, zu uns selbst. Das Tränentuch lese ich als eine Verneigung vor unseren treuesten Lebensgefährten: der Traurigkeit, die nah der Freude lebt, eine Verneigung auch vor der Angst und ihrer Schwester, die Liebe heißt.

Die ROSENHAUT verführt durch ihre zarte Anmut zum Hinschauen. Wie verletzlich wir sind. Ein Wort reicht aus, uns zu erschlagen. Das Schöne, sagt Rilke, ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir gerade noch ertragen. Und wir bewundern das Schöne so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören. Die Rosenhaut, Eitempera auf hauchdünnem Leinen, gibt ihr Thema erst auf den zweiten Blick frei. Da wurde gehäutet. Die oberste Hautschicht ist abgezogen und zurück bleibt schutzlos Fleisch, Wunde. In diesem Zustand, wie ihn Verbrannte erleiden, ist jede Berührung Schmerz. Ich rette mich aus diesem Bild zurück in seinen Titel – Rosenhaut. Damaszener Rosen, im April strömt ihr Duft durch ein Tal in Afghanistan.

Wie verletzlich wir sind. Und wie viel Trost wir brauchen, damit wir unsere Endlichkeit ertragen lernen. Trost, wie er uns zukommt, wenn wir vor GRÜNE ERDE stehen. Grasland, Gebiet der Tiere und des Windes, Gebiet der Stille, weit. Vom Grasland gleitet der Blick in dunkles Gelände. REGENNACHT. Annäherung vielleicht an die Dunkelheit, auf die wir alle zugehen.

Christine Gutgsells neue Arbeiten sind den Menschen ganz nah. Diese Bilder spiegeln unser Sein, ausgespannt zwischen Werden und Vergehen. Aus dem Annehmen dieses unerbittlichen Reigens entstehen Tiefe und Lebendigkeit. Beide zeichnen die Arbeiten der Christine Gutgsell aus. Diese Bilder werden gültig bleiben, weil sie nicht modisch sind, sondern Not wendig.

 

hanna sukare, wien 2008



* Die versal gedruckten Worte sind BildTitel
Tränentuch - 2008 - Mischtechnik auf Leinen - 271 x 145 cm